(Mal ausnahmsweise nicht gelesen, dafür geguckt. Ist ja beinahe so schön wie ein Buch. In diesem Falle genauso toll)
Es ist ja nicht so, dass man die selben Nasen im beschaulichen Ruhrpott nicht immer wieder sieht. Auf allen Bühnen, ob groß oder klein, tummelt sich eine mittelgroße Hand voll wunderbarer Künstler, die ich mir gerne auch bis zur Mitquatsch-Reife anschauen kann. Wirkliche Überraschungen erlebt man dabei allerdings kaum noch. Gelegentlich fühlt es sich so an, als hätte man den Lieblingsfilm schon lange nicht mehr gesehen und würde jedes noch so kleine Detail mit Spannung erwarten – natürlich passiert dann trotzdem nichts Neues. Der Vampir glitzert, der Gute kriegt das Mädchen, alle tot.
Anders bei diesen beiden Herren. Horst Schulze Entrum und Tobi Katze betraten am Dienstag gemeinsam und doch jeder für sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe Ekamina im großartigen Sissikingkong in Dortmund die Bühne und ich weiß nicht, was sie taten, aber sie taten es anders und besonders besonders und ich, mit der Einstellung, mich von einer netten, von grundauf soliden Show aus Kabarett und Bühnenliteratur einlullen lassen zu dürfen, wäre beinahe aus den Latschen gekippt, hätte ich nicht schon gemütlich auf dem Sofa gehockt. So musste es reichen, die Stinkstiefel unbemerkt in’s Bierglas des Sitznachbarn zu dippen. Irgendwas mit Metapher muss ja, also in diesem Fall kalte Füße für mein vorschnelles Urteil.
Tobi Katze, der seit vielen Jahren auf Poetry Slams und Lesebühnen anzutreffen ist, eröffnete die 1 ½ Stunden währende Show. Was folgte war ein wahres Dauerfeuer an skurril-komischer Bühnenliteratur, dass aus dem prall gefüllten Sissikingkong eine sich kringlig lachende und gespannt lauschende Masse machte. Anders, als bei Slam Veranstaltungen, siedelte sich der Durchschnitt des Publikums in der weitläufigen Alterssparte 30-50 an und ich spekuliere mal mutig und behaupte, dass das der Auslöser für einen ebenso reiferen Auftritt war. Hier galt es nicht, Erstsemester zu bespaßen und das schien ungeahnte und monumental großartige Qualitäten in Tobi Katze zu wecken. Katze las und spielte sich die Seele aus dem Leib und das Publikum (inklusive mir) dankte es mit Bauchschmerzen verursachendem Lachen und donnerndem Applaus.
Steht ein Künstler häufig mit seinem Soloprogramm auf der Bühne, stellt sich zwangsläufig irgendwann ein gewohnter Ablauf ein. Kommt man als Zuschauer in den Genuss – oder auch in die Verlegenheit – einer Show mehrfach beizuwohnen, wird man, wie anfangs erwähnt, über die Spannung des Lieblingsfilmes kaum mehr hinauskommen. An diesem Abend allerdings war alles anders. Herr Katze schmiss sein Konzept völlig über den Haufen und einige seiner Klassiker kurzerhand aus dem Programm und verwöhnte die Zuhörer und –schauer und Zuhörerinnen und –schauerinnen mit teils völlig neuem, teils lange verschollenem und zu guter letzt völlig für Slam-Auftritte ungeeignetem Material, das auf einer Bühne, die dem Künstler genügend Raum lässt, zu völlig wahnsinnigen Größen erwuchs. Den Daurbrenner „Ute“, die brandneue Fortsetzung und zu meiner ganz persönlichen Freude auch wieder einen Happen Lyrik gab’s natürlich während Katzes Solo trotzdem zu hören.
Nach guten 45 Minuten Spielzeit beraumten die Herren eine Pause an und der geneigte Zuschauer fragte sich völlig begeistert, was da jetzt noch kommen soll. Aber es kam etwas. Etwas Mächtiges. Es kam Horst Schulze Entrum.
Dieser Mann, der, wie ich hiemit feierlich enthülle, einen Künstlernamen trägt, machte im zweiten Teil der Show so ziemlich alles platt, was Tobi Katze übrig gelassen hatte und nicht aus 3 Tonnen Stahlbeton bestand…und zündete es anschließend an. Bisher kannte ich Schulze Entrum nur von durchschnittlich erfolgreichen Slam-Auftritten und als übermäßig begabten Drehbuchautor. Jetzt erklärt sich auch, warum. Dieser Mann braucht Platz. Und zwar viel Platz.
Das spießige Alter-Ego Horst, das teils pedantisch wetternd hinter ein Keyboard geklemmt, teils gedankenverloren stotternd und sinnierend am Mikrophon stehend, Geschichten aus dem Leben eines absoluten Versagers erzählt, entfaltet die (in diesem Falle mehr als positiv gemeinte) Wirkung eines einzigartigen Autounfalls. Wegschauen unmöglich! Man stelle sich folgendes Szenario vor: Horst fährt mit einem Clown-Auto sachte gegen einen Stein, den ihm das Leben in den Weg geworfen hat. Während Schulze Entrum im Auto sitzen bleibt und sich über die Bösartigkeit des Lebens echauffiert, bricht rings um ihn her ein Sarkasmus staubender Kohleschacht in sich zusammen und Horst ist auf seiner Insel gefangen. So und nicht anders empfinde ich eine Show Horst Schulze Entrums. Das für einen Kabarettisten mit derartigem Wirkungsfeld in den 5 Minuten einer Slambühne einfach nicht genug Platz ist, muss nicht erklärt werden. Horst Schulze Entrum beschreibt brilliant, völlig verzweifelt und trotzdem von sich selbst überzeugt seine Kontrollzwänge, den scheiternden Versuch, sich der Damenwelt als Toaster zu verkaufen und die Konditionierung seiner Nichte, die hoffentlich irgendwann, wenn sein Leben dem Ende zugeht, den Stecker ziehen wird. Zwischenapplaus, ungehaltene Lachkrämpfe im Publikum und völlige Fassungslosigkeit ob des so sympathischen Widerlings auf der Bühne scheinen Schulze Entrum nicht im Ansatz zu stören und schüren eher das absurde Feuer seiner Erzählungen. Zusätzlich begleitet er sich gekonnt ungekonnt auf dem Keyboard. Dazu passend erzählt er dem den Lachtrännen nahen Publikum natürlich auch, woher er seine Fähigkeiten an den Tasten hat. Um der Kunst die Krone aufzusetzen, zündet sich Horst im „Zuge“ einer 70er Jahre Ruhrpott Geschichte auf der Bühne eine Zigarette an und tritt dem raucherfeindlichen NRW völlig unbedarft in die…äh…Kniekehle. Was soll man dazu noch sagen? Dieser Mann ist großartig! Ein bisher viel zu unbekannter Kabarettist, den ich gedanklich doppelt rot umkringeln werde.
Rumfazitieren muss ich trotz der überschäumenden Begeisterung aber noch: diese beiden Männer brauchen Raum! Jeder einzeln und beide zusammen erst Recht. Haben sie den, passieren Wunder. Grandiose Texte in allen Farben des Humors schimmernd ergeben, gemischt mit Spuren der Verzweiflung und der schlichten Absurdität des Lebens, eine gnadenlos ehrliche und gnadenlos liebenswürdige Show mit Lachgarantie. Im Gegensatz zu vielen Bühnenkollegen kommt hier aber auch das Quäntchen Nachdenklichkeit nicht zu kurz.
Wer hätte gedacht, dass diese beiden Herrschaften gemeinsam auf einer Bühne mehr als gut funktionieren und sich darüber hinaus auch noch in qualitativ ungeahnte Höhen katapultieren.
Gebt ihnen den Platz!
Zu guter letzt wie immer die praktischen Haushaltstipps, Kleinanzeigen und Infos zu den Künstlern, sowie das Horoskop der kommenden Woche:
Horst Schulze Entrums brandneue Homepage (inkl. Videos): http://horst-schulze-entrum.de/
Tobi Katzes brandneu überarbeitete Homepage: http://www.derkatze.de/
Der Terminkalender der Ekamina Veranstaltungsreihe: http://www.ekamina.de/
Bier trinken und Kultur? Sissikingkong!: http://www.sissikingkong.de/
Kurzer Geheimtipp aus der Klatsch und Tratsch Ecke: Tobi Katze hat ebenfalls im Sissikinkong eine Live-Show auf Tonspuren gebannt. Diese wird es im Laufe des Frühjahres als CD zum Erwerb anbieten, was sich schon alleine für Katzes unfassbar tiefe Stimme lohnt, geschwiege denn für die Texte. Feines Teil wird das. Tobi Katzes Buch „ROCKNROLLMITBUCHSTABEN“ (https://luisefrentzel.wordpress.com/2013/08/12/liebeserklarung-an-ein-buch-rocknrollmitbuchstaben-tobi-katze ) kann man auf der Homepage natürlich weiter direkt beim Autor kaufen oder ihm nach Shows am Bühnenrand eins aus dem Kreuz leiern.
Liebe Menschen, gebt der Kunst und den Künstlern jeglicher Form mehr Raum, indem ihr hingeht! Es lohnt sich…hart.
Bis demnächst, Freunde.